Der Nationalratswahlkampf in Österreich hat gezeigt, wie essenziell soziale Medien als Kommunikationsmittel geworden sind. Parteien nutzen diverse Social Media Plattformen, um ihre Botschaften zu verbreiten, gezielt mit verschiedenen Zielgruppen zu interagieren und Wähler:innen zu mobilisieren. Einen Überblick, der über die eigenen Bubbles hinaus geht, liefern Matthias Bauernberger und Philipp Strommer, Studenten im Bachelorstudiengang Marketing und Kommunikation der FH St. Pölten.
Ein kurzer Überblick abseits Social Media
Bevor es um den tatsächlichen Einsatz von Social Media geht, wird der Zeitraum von 01.09.-31.09.2024 mithilfe des Marktanalysetools für Online-Werbung „Zulu5“ genauer beurteilt. Dies ermöglicht es im Nachhinein eventuelle Schlüsse daraus zu ziehen, welche Parteien zusätzlich zu „normaler“ online-Werbung den Fokus auch auf Social Media setzen. In unserer Recherche wurden die Domains der fünf nun im Nationalrat vertretenen Parteien verwendet (FPÖ, ÖVP, SPÖ, NEOS, Grüne). Ab der zweiten September-Woche haben grob gesagt Die Grünen am meisten für Ads ausgegeben. Auf Platz zwei liegen die NEOS gefolgt von der ÖVP.
Bei der Reihung nach den hochgerechneten Ausgaben für die ausgebenden Website im Verhältnis zu allen anderen Websites liegt „orf.at“ mit fast 50% auf Platz 1. Gefolgt von „nachrichten.at“ mit fast 7% und „diepresse.com“ mit 6%. Auch spannend, unter allen erfassten Ads ist es ein 50/50 Verhältnis zwischen Non-Programmatic und Programmatic Advertising.
Abbildung 1: Screenshot von Wahlwerbung "Die Grünen" auf kurier.at
Nationalratswahlkampf 2024 und Social-Media
Im Nationalratswahlkampf 2024 setzen die Parteien auf soziale Medien, um mit potenziellen Wähler:innen in Kontakt zu treten und Aufmerksamkeit zu gewinnen. Besonders auffällig ist die Dominanz der FPÖ und ihres Spitzenkandidaten Herbert Kickl, die mit 2,6 Millionen Interaktionen und fast einer Million Follower:innen die sozialen Netzwerke klar anführen.
Abbildung 2: eigene Darstellung, Daten im Zeitraum 01.08-22.09.2024 Plattformen: Facebook, Instagram, X, YouTube, TikTok (Quelle: Buzz Value)
Kickl erreicht auf Plattformen wie Facebook und TikTok so viele Menschen, dass seine Interaktionszahlen aller anderen Kandidat:innen deutlich übertreffen. Über alle Parteien gesehen erweist sich Facebook als die wichtigste Plattform, mit 2,4 Millionen Interaktionen insgesamt. Gefolgt von Instagram und TikTok. Auf TikTok ist Kickl besonders erfolgreich, und auch die FPÖ insgesamt schneidet dort besser ab als andere Parteien – ein Hinweis darauf, dass die Partei gezielt jüngere Zielgruppen anspricht. Die genannten Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 01.08.-22.09.2024.
Die Werbeausgaben der Parteien verstärken dieses Bild: Die FPÖ investiert am meisten in Social-Media-Werbung, gefolgt von der Volkspartei und der SPÖ. Mit mehr als 142.000 Euro gibt die FPÖ fast doppelt so viel aus wie die SPÖ und zeigt damit, dass sie massiv auf digitale Kampagnen setzt, um ihre Reichweite zu vergrößern. Die Volkspartei folgt mit knapp 129.000 Euro, und auch andere Parteien steigern ihre Ausgaben, um auf Plattformen wie Facebook und Instagram präsent zu sein. Die genannten Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 22.08-22.09.2024.
Abbildung 3: eigene Darstellung, Daten im Zeitraum 22.08-20.09.2024 (Quelle: Buzz Value)
Auch auf Instagram bleibt die FPÖ führend, obwohl die Unterschiede zu den anderen Parteien weniger ausgeprägt sind als auf TikTok oder Facebook. Neben Kickl erzielen hier auch SPÖ-Kandidat Andreas Babler und die Bierpartei beachtliche Interaktionen. Die Zahlen belegen, dass alle relevanten Parteien den Wert von sozialen Medien erkannt haben und diese gezielt einsetzen, um Wähler:innen direkt anzusprechen. Mit visuellen und interaktiven Inhalten erreichen sie breite Bevölkerungsgruppen und schaffen direkte Kommunikationswege, die herkömmliche Wahlkampfmethoden ergänzen.
Der Nationalratswahlkampf 2024 zeigt somit, wie Soziale Medien die politische Kommunikation verändert haben. Sie bieten den Parteien eine Bühne, um ihre Inhalte direkt und unverfälscht an die Wähler:innen zu bringen. In einer zunehmend digitalen Gesellschaft werden diese Kanäle immer wichtiger. Die hohen Aktivitäten auf Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok könnten ein entscheidender Faktor im Ausgang der zukünftigen Wahlkämpfe sein. Wer in sozialen Netzwerken gut aufgestellt ist, hat nicht nur mehr Sichtbarkeit, sondern auch größere Chancen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Wähler:innen zu mobilisieren.
Abbildung 4: Screenshot TikTok-Kanal Herbert Kickl
Microtargeting für politische Social-Media-Kampagnen
Im Social-Media-Wahlkampf setzen Parteien zunehmend auf datengetriebene Kampagnen (Data-Driven Campaigning, kurz – DDC) und gezieltes Microtargeting, um Wähler:innengruppen direkt anzusprechen. Mithilfe detaillierter Nutzer:innenprofile könnten Botschaften so angepasst werden, dass sie für bestimmte Gruppen besonders ansprechend sind. Doch dieser Ansatz ist nicht unproblematisch, da sensible Daten, wie etwa die sexuelle Orientierung, Religion oder Herkunft, genutzt werden müssten. Dadurch könnten nicht nur die Privatsphäre verletzt, sondern auch Gefühle der Überwachung ausgelöst werden. Dennoch gibt es auch Unterschiede in der Betrachtungsweise, welche Daten als problematsich angesehen werden (Bon et al., 2024; Luke et al., 2024).
Untersuchungen zeigen, dass Menschen in verschiedenen Ländern unterschiedlich auf Microtargeting reagieren. Während es in den USA eher akzeptiert wird, stehen viele Menschen in Deutschland und den Niederlanden dem kritisch gegenüber (Bon et al., 2024). Die seit Mai 2018 geltende DSGVO erlaubt Microtargeting in der EU allerdings nur unter strengen Bedingungen. Die Ermittlung politischer Einstellungen durch Datenkorrelationen erfordert eine ausdrückliche Zustimmung. Wahlkampfteams nutzen dennoch Apps, die anhand gesammelter Daten Wahlwahrscheinlichkeiten berechnen. Ein direkter Personenbezug soll dabei durch die Bündelung von Adressen zu Wohnblocks oder Straßenzügen vermieden werden (Gudowsky, 2022).
In Österreich wird Social-Media-Marketing im Wahlkampf ebenfalls immer wichtiger. Parteien nutzen datengetriebene Werbung, um bestimmte Wähler:innengruppen gezielt anzusprechen – etwa anhand von Likes oder demografischen Merkmalen. Dabei besteht jedoch das Risiko, dass einige Gruppen gezielt angesprochen und andere ausgeschlossen werden, was zu einer verzerrten Wahrnehmung politischer Inhalte führen kann. Studien zeigen zudem, dass viele Menschen wenig über die genauen Mechanismen dieser Werbung wissen, was Manipulation erleichtern kann. Gerade in Österreich, wo faire und informierte Wahlen einen hohen Stellenwert haben, wirft der Einsatz solcher Strategien Fragen auf (Minihold et al., 2024).
Fazit:
Der Nationalratswahlkampf 2024 in Österreich zeigte die zentrale Rolle sozialer Medien für die politische Kommunikation. Besonders die FPÖ nutzte Plattformen wie Facebook und TikTok erfolgreich, um hohe Reichweiten zu erzielen. Für Österreich wird deutlich, dass transparente Regelungen für den Einsatz digitaler Wahlwerbung notwendig sind, um die Integrität des Wahlprozesses zu wahren. Soziale Medien sind nicht nur Reichweiten-Tools, sondern haben das Potenzial, die politische Meinungsbildung entscheidend zu beeinflussen.
Quellen
BuzzValue - New Media Research e.U. (2024, 25. September). #NRW24: Endspurt im Social Media-Wahlkampf. buzzvalue. https://www.buzzvalue.at/single-post/nrw24-endspurt-im-social-media-wahlkampf
Bon, E., Dommett, K., Gibson, R., Kruikemeier, S., & Lecheler, S. (2024). Are Certain Types of Microtargeting More Acceptable? Comparing US, German, and Dutch Citizens’ Attitudes. Media and Communication, 12, Article 8520. https://doi.org/10.17645/mac.8520
Gudowsky, N. (2022). Microtargeting – Personalisierte Nachrichten zur Beeinflussung von Verhalten. https://www.parlament.gv.at/dokument/fachinfos/zukunftsthemen/008_microtargeting.pdf
Luke, S., Bon, E., Dommett, K., Gibson, R., Lecheler, S., & Kruikemeier, S. (2024). Editorial: Data-Driven Campaigning in a Comparative Context—Toward a 4th Era of Political Communication?. Media and Communication, 12, Article 9227. https://doi.org/10.17645/mac.9227
Minihold, S., Lecheler, S., de Vreese, C., & Kruikemeier, S. (2024). Exploring digital campaign competence: the role of knowledge in data-driven election campaigns. Journal of Information Technology & Politics, 1–16. https://doi.org/10.1080/19331681.2024.2416012
Abbildungsverzeichnis:
Autor: Philipp Strommer ist Student im Bachelorstudiengang „Marketing & Kommunikation“ an der FH St.Pölten.
Autor: Matthias Bauernberger ist Student im Bachelorstudiengang „Marketing & Kommunikation“ an der FH St.Pölten.
Autorin: Barbara Klinser-Kammerzelt FH St. Pölten FH-Dozentin im Bachelor Marketing & Kommunikation, Master Digital Marketing & Kommunikation Lehrgangsleitung Werbung & Markenführung
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